UJ3RK5 – s/t (1979): Postpunk und Konzeptkunst
Vor mir liegt die selbstbetitelte EP der Band UJ3RK5 aus dem Jahr 1979. Eine Platte aus einem Berliner Second-Hand-Laden. Ich kannte die Band vorher nicht. Ausschlaggebend für den Kauf waren die Namen von einigen der Bandmitglieder. Keyboard spielt Jeff Wall, Gitarre Rodney Graham, Bass Ian Wallace – also drei der wichtigsten Vertreter der in den 1990er Jahren so genannten «Vancouver School of conceptual photography».
UJ3RK5. Der Name ist in Grossbuchstaben geschrieben. Das «E» und das offenbar nicht ausgesprochene «S» am Ende sind durch die Ziffern «3» und «5» ersetzt. Die Musik ist verschroben-hibbeliger Artschool-Punk. Hörbar inspiriert von den frühen Devo. Musik die eher steif als groovy sein will und jeder Idee von Natürlichkeit generell misstraut und damit prototypisch den Bruch mit der Musikästhetik der 60er und 70er-Jahre nachvollzieht für den «Punk» steht. Punk wendet sich Ende der 70er Jahre aber nicht nur gegen eine spezifische Ästhetik, sondern auch gegen die Regeln einer auf den Aufbau von einzelnen Superstars ausgerichteten Musikindustrie. Die neue Musik die in der Folge dieser Negation allerorten entsteht, ist geknüpft an einen Boom kleiner unabhängiger Musikverlage. Die Industrie befindet sich in einem Zustand der Verunsicherung. Sie ist aufgeschreckt, weil sie offensichtlich einen wichtigen Trend verschlafen hat. Diese Situation führt u.a. dazu, dass in den Jahren nach 1977 verschiedentlich auch relativ ungewöhnliche Musik auf grossen Verlagen erscheinen kann. Im Falle der UJ3RK5 ist es Polydor. Die EP war zuvor auf dem Independent-Label «Quintessence» erschienen, einem der Grundpfeiler der lokalen Punkszene Vancouvers.
Ich besitze das Polydor-Release. Das Cover weist am rechten oberen Rand ein gestanztes Loch auf. Aus dieser absichtsvollen Beschädigung lässt sich schliessen, dass es sich entweder um ein remittiertes Exemplar handelt, oder dass der Tonträger an einem Punkt von der Plattenfirma im Rahmen einer Lagerräumung als Altlagerbestand zu einem reduzierten Preis abgestossen wurde.
Das Bild auf dem Cover stammt von Jeff Wall. Es zeigt die Gruppe und ihre Instrumente in einem weiss gestrichenen, von einer Neonröhre beleuchteten Raum. Acht Personen. Sechs Männer, zwei Frauen. Von links nach rechts: Colin Griffith (mit Gitarre), Jeff Wall (am Keyboard), David Wisdom (auf Sofa), Rodney Graham (mit Gitarre), Kitty Byrne (hinter Schlagzeug), Danice MacLeod (mit elektrischer Violine), Ramirez (am Stehmikrophon) Ian Wallace (mit Bass). In der Bildmitte steht im Vordergrund angewinkelt ein Tisch, auf dem eine weitere Gitarre und verschiedene Papiere liegen. Im Raum stehen daneben verschiedene Verstärker, Instrumentenkoffer und noch ein Keyboard. Durch das Fehlen jeglicher perspektivischer Verzerrung, durch die Komposition der Figuren und deren Posen wirkt das Bild wie ein Gemälde aus der Zeit des Barock. Ein durchkomponiertes Tableau.
Der Tisch mit den Papieren im Zentrum lässt an Rembrandts Gruppenporträt der Vorsteher der Amsterdamer Tuchmacherzunft – die «Staalmeesters» denken. Dieses Bild aus dem Jahre 1662 zeigt sechs Inspektoren der Tuchmacherzunft bei ihrer Aufgabe, der Qualitätskontrolle von Tuchmustern. Sie sitzen um einen Tisch auf dem ein aufgeschlagenes Buch liegt. Rembrandts Gemälde gilt als massgeblich für die Herausbildung des Bildtypus’ des Gruppenporträts, das aufs engste verbunden ist mit dem historischen Aufstieg des Bürgertums. Das Bild der «Staalmeesters» wird üblicherweise als Manifestation eines erwachenden bürgerlichen Selbstbewusstseins gedeutet. Das Gruppenporträt wird dabei in bewusster Abgrenzung zum absolutistischen Herrscherporträt als neue Form der Repräsentation gelesen: Der Einzelne wird als Mitglied einer gleich gesinnten Gruppe dargestellt und manifestiert innerhalb dieser Gruppe, in den Worten der Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat, ihr «imaginäres, ideales Bild, das Bild einer harmonischen konfliktfreien Verbindung von Individuen und Gemeinschaft».
Analog zum bürgerlichen Gruppenporträt kontrastiert Jeff Walls Foto auf dem Plattencover UJ3RK5 als schöpferisches Kollektiv gegen einen der Rockkultur inhärenten Star- und Geniekult. In diesem Sinne ist hier auch die Frage der Autorschaft gelöst. Am Ende des Textblocks der auf der Rückseite der Plattenhülle alle Gruppenmitglieder und die von ihnen gespielten Instrumente auflistet steht lapidar «All lyrics and music by UJ3RK5».
Der Verzicht auf die Nennung individueller Autoren scheint hier allerdings eher ein kulturpolitisches Statement als eine adäquate Darstellung des Produktionsprozesses zu sein. Für die Arrangements ist offenbar hauptsächlich Rodney Graham verantwortlich, während der Grossteil der Texte von Sänger Frank Ramirez stammt. Mit ihm habe ich ein Telefongespräch geführt.
Ramirez kannte Graham bereits seit Anfang der 1970er-Jahre. 1977 fangen sie an unter dem Namen Gentlemen II gemeinsam Musik zu machen. Ramirez und Graham studieren beide am Fine Arts Departement der University of British Columbia. Hier lernen sie die meisten der späteren UJ3RK5-Mitglieder kennen. Mit der Violinistin Danice MacLeod und der Schlagzeugerin Kitty Byrne – die auch in der Fine Arts Library als Bibliothekarin arbeitet – besuchen sie Kurse bei Ian Wallace, der an der UBC als Dozent wirkt. Kunstgeschichte und -theorie. Ramirez beschreibt die Atmosphäre zwischen Dozent und Studierenden als ausgesprochen anti-autoritär. Wallace bringt in die UJ3RK5 eine gewisse musikalische Erfahrung und seinen Freund Jeff Wall ein, der ebenfalls an der UBC Kunstgeschichte studiert hatte und 1976 eine ausserordentliche Professur an der Simon Fraser University in Vancouver angetreten hatte.
Geübt wird in Walls Atelier in Räumen der Universität in Hastings. Weitere Leute kommen dazu. Kurzfristig ist u.a. auch der Schriftsteller William Gibson, der zwischen 1972 und 1977 an der UBC englische Literatur studiert hatte, Teil von UJ3RK5. Wie er in seinem Blog schreibt, hätte sich sein Beitrag aber eigentlich darauf beschränkt, dass er im Übungsraum abgehangen sei, Bier getrunken, und der Band beim Proben zugesehen habe.
Am 30. März 1978 haben UJ3RK5 ihren ersten öffentlichen Auftritt in der unter anderem Namen heute noch existierenden Helen Pitt Gallery, einem Raum für experimentelle zeitgenössische Kunst. Es folgen Konzerte mit lokalen Bands wie den Young Canadians, A.K.A, und den Modernettes und ein Auftritt als Vorband der englischen Postpunk- Referenzgrösse Gang of Four. Im Dezember 1979 spielt man im grossen Studio eines Radiosenders die EP ein. Der langsam einsetzende Erfolg verstärkt latente Konflikte um die Zukunft der Gruppe. Nicht lange nach den Aufnahmen zur EP zerbricht das Projekt.
Während ein Teil den eingeschlagenen Weg weiter gehen und sich noch intensiver der Musik widmen wollen, entscheiden andere – namentlich Ian Wallace und Jeff Wall – und sich vor allem auf ihre Karrieren im Bereich der bildenden Kunst zu konzentrieren und ihr Engagement in der Band zurückzufahren. Zumindest für Wall sind die UJ3RK5-Jahre auch eine Zeit der Neuausrichtung: Nach einer längeren Zeit der Abstinenz als bildender Künstler beginnt Wall 1977 mit seinen fotografischen Aktualisierungen historischer Gemälde, mit denen er international bekannt werden sollte. 1978 entsteht «Destroyed Room», ein Grossbilddia in einem Leuchtkasten nach einem Gemälde von Delacroix, das im Werkverzeichnis des Künstlers als Nummer Eins geführt wird. Die Arbeit wird zusammen mit einem früheren, von Wall später zurückgezogenen Werk in der Vancouver Nova Gallery ausgestellt. Es ist Jeff Walls erste Einzelausstellung. Im April 1979 folgt eine grössere in der Gallery of Greater Victoria, zu der auch ein Katalog erscheint.
Ramirez’ «window of opportunity» hingegen ist die Band. Er will, dass es weitergeht, muss sich aber dem Willen der anderen fügen. Aus dieser Perspektive identifiziert Ramirez das Coverbild bzw. seine Pose darauf weniger mit Rembrandts «Staalmeesters» als mit Velàzquez’ «Übergabe von Breda» – einer gemalten Szene aus dem 80-jährigen Krieg, das den Bürgermeister der niederländischen Stadt Breda bei der Übergabe des Schlüssels an die siegreichen Spanier darstellt. Während Wall, Wallace und Rodney Graham sich ihren letztendlich von internationalem Erfolg gekrönten Künstlerkarrieren widmen, verlässt Ramirez nach dem Ende der UJ3RK5 Vancouver und geht nach Europa. Er landet in Freiburg, wo er u.a. als Redakteur der experimentellen Musiksendung «Kategorie X» beim freien Radio Dreyeckland aktiv ist. Nach zehn Jahren kehrt er im Jahr 2001 nach Vancouver zurück.
Der Text des Songs «Eisenhower & the hippies» bezieht sich auf einen gleichnamigen Essay des New Yorker Konzeptkünstlers Dan Graham. Ramirez zufolge hätte ihm Rodney Graham den Artikel – begeistert von der Übereinstimmung mit der Anti-Hippie-Haltung der Punks – in einem Buch gezeigt und er hätte daraus einen Song-Text gemacht. Ursprünglich ist Grahams Text in der Nummer Sechs des von Vito Acconci und Bernadette Mayer herausgegebenen konzeptionellen Literaturmagazins 0 to 9 publiziert worden, das zwischen 1967 und 1969 in einer winzigen Auflage von maximal 350 hektographierten Exemplaren in New York erscheint. Eine Auswahl der in 0 to 9 erschienen Artikel wird allerdings bereits 1969 faksimiliert in Buchform vom New Yorker Verlag Kraus Reprint herausgegeben. Darunter auch der Text «Eisenhower and the Hippies». Es ist vermutlich diese Ausgabe, in der Rodney Graham zehn Jahre später den Text seines Namensvetters findet.
Zum Zeitpunkt des erstmaligen Erscheinens des Texts «Eisenhower and the Hippies» hat Dan Graham bereits eine Reihe von künstlerischen Arbeiten in Zeitschriften geschaffen. Darunter das bekannte «Homes for America», das im Dezember 1966 bzw. Januar 1967 im «Arts Magazine» erschien. Für Graham war in den 1960er-Jahren mit der Pop Art deutlich geworden, dass im Rahmen des Kunst-Systems auch die Informationsmedien dialektisch genutzt werden können. Seine Zeitschriften-Arbeiten erheben den Anspruch sowohl innerhalb der Kunst-Sprache als auch der Populär-Sprache der Medien zu funktionieren und dabei die Prämissen beider Systeme kritisch zu kommentieren. Nach eigenem Bekunden geht es Graham bei seinen Zeitschriften-Arbeiten um eine im buchstäblichen Sinn «disponible Form der Pop Art». Angeregt durch den Besuch einer Ausstellung des malenden Ex-Präsidenten Dwight D. resp. «Ike» Eisenhower, die im Mai 1967 in New York gezeigt wird, schlägt Graham dem renommierten Arts Magazine eine Rezension dieser Ausstellung auf ihren Seiten vor. Sam Edwards, dem damaligen Herausgeber gefällt die Idee, er kann sie jedoch nicht mehr umsetzen, da er kurz darauf entlassen wird. Nachdem Artforum den Artikel ablehnt, stimmt Susan Brockman als neue Herausgeberin des Arts Magazine einer Veröffentlichung zu. Kurz vor Drucklegung wird der Artikel jedoch gestoppt. Vermutlich durch politischen Druck von Seiten des Besitzers. Die spätere Veröffentlichung in 0 to 9 bedeutet für «Eisenhower and the hippies» also gleichsam eine «Second Hand»-Existenz. Geplant war für den Artikel eine Publikation in einem renommierten Kunstmagazin in Vierfarb-Druck auf Hochglanzpapier, veröffentlicht wurde es zwei Jahre später hektographiert im Schreibmaschinen-Layout in einer Off-Publikation.
Für die sich Ende der 1970er-Jahre formierende «Vancouver Schule» ist Dan Graham eine zentrale Bezugsfigur, der die Entwicklung in Kanada von Anfang an kritisch begleitet. So bespricht er beispielsweise 1980 in der Nummer 3 des New Yorker REALLIFE Magazine Jeff Wall’s «The Destroyed Room», während dieser 1982 wiederum Grahams Arbeit in einem ausführlichen Essay behandelt.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens der UJ3RK5-EP verkehrt Dan Graham in New York auch in den Kreisen um die No-Wave-Band Theoretical Girls, deren Gitarrist Glenn Branca dann auch (gemeinsam mit Sonic Youth) 1983 den Soundtrack zu Grahams Video-Essay «Rock My Religion» liefern wird. Bereits 1978 präsentiert Graham verschiedenenorts auch einem mit Musik-Beispielen unterlegten Dia-Vortrag, der sich mit Punk, bzw. mit den Unterschieden zwischen englischem und US-amerikanischem Punk befasst. Aus diesem Dia-Vortrag entwickelt er der Artikel «Punk: Political Pop», der 1979 in der März/April- Nummer des Journal des Los Angeles Institute of Contemporary Art veröffentlicht wird. Graham vertritt hier die These, dass während der englische Punk als eine Form sozialrealistischer Propaganda zu sehen sei, sich der US-Punk ungleich stärker an den politisch-ästhetischen Strategien der Pop-Art orientiere. Als Bespiel nennt er unter anderem die Band Devo. Graham zufolge geht es bei Devo in erster Linie um das Entlarven der Mythen und Täuschungen der 60er-Jahre. Das Freiheitsversprechen der Rockmusik wird gelesen als Teil eines grossen Verblendungszusammenhangs. Hinter der Hippie-Kritik der Punks steht für Graham also in erster Linie die Einsicht, dass sich Rockmusik zwar noch so radikal gebieren mag, aber dennoch nicht ausserhalb der kulturindustriellen Verwertungslogik steht. Sie kann nichts anderes sein als ein Produkt. Diesen Widerspruch gelte es produktiv zu machen und auf diese Weise eine Veränderung herbeizuführen. In diesem Versuch eines kritischen Agierens aus der Erkenntnis einer immer schon verlorenen Unschuld treffen sich um 1979 Punks und Konzeptkünstler der ersten und zweiten Generation. Die vorliegende EP der UJ3RK5 ist ein Zeugnis dieses historischen Moments.
Veröffentlicht in: radio arthur, fall 2012