Zur Geschichte der Normung der Papierformate in der Schweiz

Der vorliegende Text möchte in groben Zügen die Einführung der heute als DIN-Formate bekannten Papiergrössen in der Schweiz skizzieren, die wichtigsten Protagonisten vorstellen und einen Blick auf die Vorgeschichte dieses grossen Normungsprojekts werfen.

prinzipien der papierformatnormung

Abb 1: Wanderausstellung «Die Norm in Industrie, Gewerbe, Handel und Haushalt», Kunstgewerbemuseum Zürich, Okt./Nov. 1928 [Archiv ZHdK, M_1928_G]

Das Mono-Format (1905)

Um 1900 sind in der Schweiz diverse Papierformate im Gebrauch. Bei den Behörden wird als Aktenformat zumeist das sogenannte eidgenössische Folio- bzw. Kanzleiformat (22 × 35 cm) verwendet. Für Geschäftskorrespondenz kommt dagegen hauptsächlich Postquart (22 × 28 cm) zum Einsatz. Daneben existiert eine Vielzahl von «Fantasieformaten». Der Bereich der Drucksachen ist gänzlich ungeordnet.

Hier Abhilfe zu schaffen und eine systematische Formatordnung zu etablieren, das ist, was der Ostschweizer Karl W. Bührer als seine Lebensaufgabe ansieht. In der noch jungen Werbebranche sieht er die Möglichkeit, seine diesbezüglichen Ideen gewinnbringend zu verwirklichen. Zu diesem Zweck regt er in Winterthur im November 1905 die Gründung einer Aktiengesellschaft mit Namen «Internationale Mono-Gesellschaft» an. Laut ihren Statuten verfolgt die Gesellschaft das Ziel, «das Reklamewesen in Bild und Wort auf ein künstlerisches Niveau zu heben und durch besondere Organisation zu geeigneter Wirkung zu bringen. Insbesondere sollen durch ein einheitliches Format (das Mono-Format 11,5 × 16,5 cm), ein geeignetes Registriersystem und eine entsprechende Aufbewahrungsart Ordnung und Methode in die mit gutem Geschmack zu erstellenden Drucksachen [...] gebracht werden.»[1] Eingebettet in das Geschäft mit künstlerisch gestalteten Sammelkarten, den sogenannten «Monos»,[2] ist die Idee einer umfassenden und internationalen Vereinheitlichung der Formate des Druckwerks. Dies wird deutlich in einer Veröffentlichung der Gesellschaft aus dem Jahr 1906, deren Titel «Pro-Mono: Flugblätter zur Verbreitung des Mono-Systems» auch eher an ein Manifest, als an eine Werbeschrift denken lässt.[3]

Bereits 1888, als Verantwortlicher der Photographischen Sammlung des Ethnologischen Gewerbemuseums in Aarau, setzt sich Bührer vehement für eine Vereinheitlichung der Flachformate ein. Man könne nicht genug empfehlen, alle Bilder auf das selbe Format aufzuziehen, schreibt er zu dieser Zeit in einem Bericht.[4] «Mögen Photographien, die man geschenkt erhält, noch so hübsch ausgestattet sein, unbarmherzig müssen sie abgezogen und auf das angenommene Normalformat umgeklebt werden.» Bührer wünscht, dass das von ihm auch an anderer Stelle[5] als Ordnungsprinzip für Karteikarten und Zettelnotizen propagierte «Normalformat» zur Erleichterung des multilateralen Austausches von anderen Institutionen übernommen wird. Dieser visionäre Gedanke wird zu seiner idée fixe. Sein späterer Mitstreiter Adolf Saager erinnert sich an Bührer, dessen Bekanntschaft er 1910 in München macht, als eine «Prophetennatur mit seltsam formulierten Heilslehren, in denen aber unbedingt ein guter Kern steckte, wenn man auch nicht wie ihr Verkünder den neuen Mittelpunkt der Welt darin erblickte.»[6]

Bührer scheint die Fähigkeit besessen zu haben, seine Mitmenschen immer wieder von seinen Ideen begeistern zu können. Die praktische Umsetzung dieser Ideen bereitet ihm aber offenbar Mühe. So enden die verschiedenen von ihm initiierten Unternehmungen meist im Konkurs. Auch die Mono-Gesellschaft in Winterthur wird bereits am 15. Februar 1911 wieder aufgelöst. Bührer hält sich zu diesem Zeitpunkt offenbar schon seit längerem in München auf, wo eine Zweigstelle der Gesellschaft die postulierte Internationalität garantieren sollte.

Da das Anliegen, Ordnung und Methode «auf geschäftlicher Basis» in die Drucksachen zu bringen offenbar gescheitert war, sucht Bührer nach anderen Wegen. Ein halbes Jahr nach dem Ende der Winterthurer Gesellschaft überzeugt er den Journalisten Saager zur Gründung eines unabhängigen wissenschaftlichen Instituts unter dem Namen «Die Brücke».[7] Saager formuliert im Folgenden Bührers Überlegungen zu einer Programmschrift, deren erklärter Hauptzweck darin besteht, den populären Chemie-Nobelpreisträger und Philosophen Wilhelm Ostwald für die Sache zu gewinnen.

Die Weltformate (1911)

Ostwald ist zu diesem Zeitpunkt gerade mit der Forderung nach einer grossangelegten Vereinheitlichung der bibliografischen und drucktechnischen Grundlagen des wissenschaftlichen Informationsaustausches an die Öffentlichkeit getreten.[8] Ostwald denkt dabei in erster Linie an Bücher und andere Drucksachen. Er kommt zum Schluss, dass die bestehende Formatvielfalt der Drucksachen nicht durch ein einziges Normalformat ersetzt werden könne, sondern dass es vielmehr eine Formatreihe sein müsste. Bei dieser müssten die einzelnen Formate «durch einfaches Falzen, d.h. durch halbieren der Oberfläche aufeinander reduziert oder auseinander hergestellt werden können».[9] Eine zweite allgemeine Forderung dieser Reihe besteht laut Ostwald darin, dass die so entstehenden verschiedenen Formate untereinander geometrisch ähnlich sind, dass also das Verhältnis von Seite zu Höhe bei all diesen Formaten durch die gleiche Zahl ausgedrückt werden kann. «Diese Forderung läßt sich nur auf eine einzige Weise befriedigen, indem nämlich die beiden Seiten der Formate sich verhalten wie die Seite eines Quadrats zur Diagonale oder, mathematisch ausgedrückt, wie 1:√2.»[10]

Bührer gibt sein relativ willkürlich gewähltes Mono-Format zugunsten dieser, von Ostwald «Weltformate» genannten Formatreihe auf und gewinnt den einflussreichen Wissenschaftler als ersten Vorsitzenden der Brücke.  Ostwald stellt dem von Bührer und Saager skizzierten visionären Projekt seine weitreichenden Verbindungen sowie Teile seines Nobel-Preisgeldes zur Verfügung. Auf dieser Grundlage entwickelt die Brücke unter der Leitung von Bührer als zweitem Vorsitzenden eine rege Propagandatätigkeit. Zwischen 1911 und 1914 werden rund 30 verschiedene Flugschriften in einer Gesamtauflage von etwa einer halben Million Exemplare versandt, die verschiedene Aspekte der von der Brücke angestrebten umfassenden «Organisierung der geistigen Arbeit» zum Thema haben. Die Vereinheitlichung der Papierformate nimmt hierbei einen zentralen Stellenwert ein. Sie bedeutet für Bührer und seine Mitstreiter nichts weniger als die Standardisierung des zentralen Träger- und Transportmediums der Produkte intellektueller Arbeit. Die einheitlichen Weltformate werden von der Brücke dabei im Zusammenhang mit der Idee einer «Weltregistratur» gedacht – einer standardisierten bibliografischen Erfassung von Druckerzeugnissen aller Art nach den Ordnungsvorgaben der Deweyʼschen Dezimalklassifikation.[11]

Im Sommer 1911 tritt Bührer in Kontakt mit Emil J. Locher, dem Generaldirektor der Schweizerischen Landesausstellung, die 1914 in Bern stattfinden soll.[12] Bührer gelingt es, den diplomierten Chemiker Locher für die Idee des Weltformats des Chemie-Nobelpreisträgers Ostwald zu gewinnen. Ein weiterer Sympathisant in den Reihen der Landesausstellung ist der Leiter ihres Reklamekomitees, der Werbefachmann Hermann Behrmann. Behrmann tritt im folgenden Jahr auch als Koautor einer Brücke-Schrift in Erscheinung.[13] Die vereinte Initiative von Locher und Behrmann für die Sache des Weltformats mündet 1912 im Artikel 91 des publizierten «Reglement für die Aussteller». Darin kommt die Auffassung zum Ausdruck, dass die innerhalb der Landesausstellung zur Verteilung gelangenden oder mit ihr in Zusammenhang stehenden Druckschriften als «einheitliches Ganzes» zu verstehen sind. «Diese Einheitlichkeit wird durch die Einführung der ‹Weltformate› (vgl. Prof. Dr. Wilhelm Ostwald: ‹Die Weltformate: I. Für Drucksachen›) auch äusserlich in Erscheinung treten. Es liegt im Interesse der einzelnen Aussteller, diese Formate streng einzuhalten; denn durch sie wird die grösste Gewähr dafür geboten, dass die verteilten Drucksachen auch wirklich aufbewahrt und dadurch ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zugeführt werden.»[14]

In Folge entsprechen alle offiziellen Drucksachen der Ausstellung der Brücke-Norm. Auch das vom Preisgericht ausgewählte Plakat von Emil Cardinaux wird 1913 im Weltformat XIII (64 × 90,5 cm) und XIV (90,5 × 128 cm) angeschlagen. Nach diesem Start beginnt sich das Weltformat im Plakat durchzusetzen, dies allerdings allein für die Inlandwerbung. Die den Markt beherrschende Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) stellt ab 1914 in der Schweiz nur mehr Weltformat-konforme Litfaßsäulen und Plakatgerüste auf. Das grösstenteils fürs Ausland bestimmte Tourismusplakat pendelt sich derweil auf das Englisch- oder Royal-Format (64 × 102 cm) ein.[15]

Das von Ostwald als Briefformat vorgeschlagene Weltformat X (22,6 × 32 cm) findet ausserhalb der Brücke-Kreise keine Verwendung, da es nicht mit den Mappen und Aktenordnern für die gebräuchlichen Folio- und Quartformate kompatibel ist.

Das gross angelegte «internationale Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit» scheitert nach kaum drei Jahren Existenz am Unvermögen ihres zweiten Vorsitzenden bzw. Geschäftsführers Bührer. Bührer scheint sich zunehmend zu verzetteln. Als er im Sommer 1913 der Öffentlichkeit die von ihm angelegte Sammlung von Werbe-, Rabatt und Briefmarken als gelungenes Beispiel für die Organisationsarbeit der Brücke präsentiert, reagieren die Geldgeber des Instituts umgehend und ziehen Stiftungsgelder und -zusagen zurück. Im Juni 1914 versiegelt ein Gerichtsvollzieher das Münchner Büro der Brücke. Bührer verlässt München in Richtung Berlin, wo er 1917 stirbt.

Die DIN- bzw. VSM-Formate (1921)

Der Erste Weltkrieg bringt sämtliche auf internationale Kooperation abzielenden Projekte in Europa zum Erliegen. Es ist aber dennoch der Krieg, der den Bestrebungen nach Vereinheitlichung der Papierformate den entscheidenden Impuls gibt. In Deutschland wird die Produktion von Rüstungsgütern aus strategischen Gründen dezentralisiert. Dies verlangt nach einer übergreifenden Normierung der produzierten Teile und auch der Formate technischer Zeichnungen. Hier liegen die Ursprünge des in Normungsfragen wegweisenden Normenausschuss der Deutschen Industrie (NDI), dem späteren Deutschen Institut für Normung (DIN).[16]

In der Schweiz ist es vor allem die im Verein Schweizerischer Maschinen-Industrieller (VSM) organisierte Maschinenindustrie, die den Anschluss an diese Entwicklungen sucht und zu diesem Zweck im Sommer 1918 das VSM-Normalienbüro ins Leben ruft. Gemeinsam mit einer repräsentativ aus Vertretern der verschiedenen Branchen der Maschinenindustrie zusammengesetzten Normalienkommission soll dieses Erarbeitung und Vertrieb überbetrieblicher Normen organisieren. Neben dem Vorsitzenden der Kommission, Curt Hoenig, ist es der zuvor als Ingenieur bei Brown Boveri in Baden tätige Leiter des Normalienbüros, Hermann Zollinger, der bald zur treibenden Kraft der Papierformatnormierung in der Schweiz wird. In einem Vortrag über «Erreichtes und Erstrebtes in der Normalisierung», den Zollinger 1924 am Schweizerischen Städtetag in Davos hält, äussert er sich zu den Umständen der Gründung der Normalienkommissionen in Europa. Die in der Nachkriegszeit ungünstigen Verhältnisse für Produktion und Absatz hätten den Gedanken einer umfassenden Rationalisierung befördert. «Die Erkenntnis, dass nebst einer zielbewussten, rationellen Betriebsführung die Normalisierung mit ein wesentlicher Faktor sei, zur Behebung der wirtschaftlich ungesunden Verhältnisse in Industrie, Gewerbe und Staat, setzte sich überall durch.»[17]

Die Ausrichtung der Schweizer Maschinenindustrie auf den internationalen Markt korrespondiert mit einer internationalen Ausrichtung der Arbeit des VSM-Normalienbüros. Bereits im Dezember 1919 reist Zollinger in seiner Funktion als Bürochef nach Berlin und nimmt an einer Reihe von Sitzungen des Normenausschusses der Deutschen Industrie (NDI) teil.[18]

Im NDI ringt man zu dieser Zeit gerade heftig um die Festlegung des Formats der ausgegebenen Normalienblätter. Man hatte mit der Norm DIN 5 die technischen Zeichnungen auf der Grundlage von Ostwalds Weltformat-Reihe normiert. Es gibt aber starke Vorbehalte gegen eine Einführung der Weltformat-Reihe als allgemeine Norm für Papierformate. Gleichzeit haben auch die «Gewohnheitsformate» Folio und Quart eine starke Lobby. In dieser verfahrenen Situation stellt im November 1918 Walter Porstmann sein Konzept eines «metrischen Formatsystems» vor.[19] Porstmann, ehemals Privatsekretär von Wilhelm Ostwald, promoviert 1917 mit einer «Untersuchung über Aufbau und Zusammenschluß der Maßsysteme» und macht sich in Folge einen Namen als Experte für theoretische Normungsfragen. Sein metrisches Formatsystem ist eine ebenfalls auf dem Seitenverhältnis 1:√2 aufbauende Abwandlung von Ostwalds Weltformat-Reihe. Der einzige Unterschied zu Ostwald besteht darin, dass – während dessen Weltformate über das Ausgangsmass von einem Zentimeter ans metrische System angeschlossen sind – bei Porstmann das Grundformat einem Quadratmeter entspricht, der Anschluss der Formate also nicht über eine Seite, sondern über die Fläche erfolgt. Diese Modifikation der Weltformate wird von Porstmann vor allem normtheoretisch begründet, ihren Erfolg verdankt sich aber eher einem praktischen Vorteil: Das durch viermalige Teilung des Grundformats abgeleitete Briefformat A4 (21 × 29,7 cm) der Porstmann-Reihe ist schmaler als Quart und weniger hoch als Folio und passt so – im Gegensatz zum entsprechenden Format der Weltformatreihe – ohne Weiteres in die zu diesem Zeitpunkt gebräuchlichen Ordner und Aktenschränke.

Beim NDI lässt man sich von Porstmanns Ausführungen überzeugen und auch der VSM legt am 6. Juni 1921 die Normformate für Zeichnungen gemäss der Formatreihe A des metrischen Flachformats fest. Das sich daraus ergebende Format für Geschäftsbriefe, A4, wird auf dem Normalienblatt VSM 10310, das die Zeichnungsformate festschreibt, als «VSM-Briefformat» bestimmt. Eine allgemeine Festlegung der Papierformate soll aber nicht im Alleingang erfolgen. Im Jahresbericht für 1921 wird über den Stand der «Normalisierung» berichtet, dass die Zeichnungsformate festgelegt werden konnten, aber die allgemeine Behandlung der Papierformatfrage mit der Papierindustrie und den Behörden noch im Gang sei. Es wird betont, dass das Normalienbüro stets grossen Wert darauf gelegt habe, «die Formate für Normalienblätter und Zeichnungen aller Art in unmittelbaren Zusammenhang zu bringen mit dem wichtigsten Geschäftspapier, dem Geschäftsbrief».[20] «Da die Formatfrage von uns allein nicht sofort und allgemein gelöst werden konnte, liessen wir 1918 die zwei ersten Normalienblätter im Format des bis heute am meisten vorkommenden Geschäftsbriefes 220 × 280 mm erscheinen, bemühten uns aber ständig, die richtige Grundlage zu finden für Zeichnungen und für Geschäfts- und Aktenmaterial. [...] Nachdem man in Deutschland, wo auch Papier- und Papiermaschinenindustrie in dem umfassenden Normenausschuss für das graphische Gewerbe mitzumachen Gelegenheit hatten, die Festlegung der genauen Masse und das Format 210 × 297 vorgeschlagen hatte, gingen wir schliesslich im Interesse der vollständigen Übereinstimmung und eines vielleicht internationalen Fortschrittes in diesen Dingen zu diesen Zahlen über.»[21]

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Abb. 2: Das neue Normalformat

Die Durchsetzung der neuen Einheitsformate

Die Diskussion um die neuen Papierformat-Normen beschränkt sich anfangs weitgehend auf den kleinen Kreis der VSM-Mitglieder. Das ändert sich 1924 mit Gründung des von Zollinger redigierten Periodikums «Technik und Betrieb: Zeitschrift für Maschinentechnik und Betriebsführung». Die Zeitschrift bietet mit einer eigenen Rubrik dem Normalienbüro die Möglichkeit seine Arbeit publik zu machen. In der zweiten Ausgabe der Zeitschrift erscheint im Juni 1924 ein Bericht von Zollinger über die Geschichte und den aktuellen Stand der Papierformatnormierung.[22] Explizit geht er dabei auch auf Bührer und Ostwald ein und preist die auf dem Weltformat aufbauende Ordnung des Plakatwesens in der Schweiz als vorbildlich. Im Zusammenhang mit den Vorstössen in jüngster Zeit wird von Zollinger vor allem die Vorreiterrolle der Schweizerischen Post und Telegraphenverwaltung betont.

Die Post beginnt, direkt nach Erscheinen der VSM-Zeichnungsnorm im August 1921, als erste eidgenössische Verwaltung mit der Vereinheitlichung der Formate ihrer zahlreichen Formulare, Drucksachen und Briefumschläge. Die Initiative geht von Oberpostdirektor Reinhold Furrer aus. Furrer, der 1918 mit dem Auftrag, die Postverwaltung zu modernisieren und rationalisieren an die Spitze der eidgenössischen Postverwaltung berufen worden war, bringt Fragen der Normierung und insbesondere der Normierung der Papierformate grosses Interesse entgegen. So steht er über die Frage nach einer übergreifenden Regelung der Formate von Briefumschlägen im Spätsommer 1921 nicht nur mit dem VSM, sondern auch mit dem deutschen Normenausschuss für das graphische Gewerbe in Kontakt.[23] Zollinger und Hoenig erkennen in Furrer bald einen wichtigen Verbündeten. Am 1. August 1923 publiziert die Oberpostdirektion eine Sondernummer des Schweizerischen Post- und Telegraphen-Amtsblattes zum Thema «Normung der Papierformate».[24] Der Text hebt an mit einer wahren Hymne auf die Normung der Papierformate, die im Hinblick auf ihre Gesamtwirkung unter allen Rationalisierungsbestrebungen den ersten Platz einnähme: «Im kleinen wenig erkennbar, sind die Vorteile einer solchen Vereinheitlichung in ihrer Auswirkung auf den gesamten brieflichen Geschäftsverkehr und die Postbeförderung, auf das Zeichnungswesen, die Bureauindustrie und die Bureaueinrichtung, das Archivwesen und die Bücherei usw., von so erheblicher, praktischer und wirtschaftlicher Bedeutung, dass auch die Organe der Post- und Telegraphenverwaltung alle Veranlassung haben, dieser Bewegung ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.»[25]

Die Bestrebungen des Normalienbüros werden allerdings nicht überall derart euphorisch aufgenommen. Am 2. Juli 1924 erscheint in der Neuen Zürcher Zeitung ein längerer Artikel, der sich kritisch mit den neuen Papierformaten befasst.[26] Der Autor des Artikels, H. Schweizer, konstatiert, dass sich das Drucksachen verbrauchende Publikum und die Geschäftswelt den VSM-Formaten gegenüber äusserst zurückhaltend verhalte, wisse man doch um das Schicksal ähnlicher früherer Bestrebungen, namentlich Mono- und Weltformate, die man heute nur noch dem Namen nach kenne. Der Artikel führt eine ganze Reihe von zu erwartenden Hindernissen auf, die eine Durchsetzung der neuen Formate verunmöglichen müssten. Als besonders störend empfindet Schweizer die «starre Anlehnung» an den geometrischen Grundsatz 1:√2. Dadurch ergäben sich ungerade Formatverhältnisse in Millimetern, die den neuen Formaten den Weg in die Praxis zum vornherein versperrten. Da Schweizer nicht an den Erfolg des Normierungsprojekts glauben mag, prophezeit er erhebliche Mehrkosten, anstelle der von den Befürwortern angestrebten Einsparungen.

Auf den Seiten von «Technik und Betrieb» begegnet man solchen Einwänden mit Erfolgsmeldungen. Da sich «die Praxis» der Auffassung des Normalienbüros angeschlossen habe, sei eine Diskussion über die Zweckmässigkeit der VSM-Formate überflüssig.[27] Das, obwohl sich die Papierindustrie in weiten Teilen weiterhin abwartend bis ablehnend verhält.[28]

Tatsächlich kann das Unterfangen im Jahr 1924 einige Erfolge verbuchen: Im August tagt in Stockholm der Jubiläumskongress des 50 Jahre zuvor in Bern gegründeten Weltpostvereins. Für die Format- und Formularfrage hat der Weltpostkongress eine besondere Subkommission eingesetzt, der Länder wie die USA, Argentinien, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien angehören. Geleitet wird sie vom Schweizer Oberpostdirektor Furrer. Der Ausschuss beantragt dem Kongress einstimmig, die Masse aller internationalen Postformulare zu vereinheitlichen und hierfür das Masssystem zu wählen, das in der Schweiz und in Deutschland ausgearbeitet wurde. Der Weltpostkongress stimmt dem Antrag zu, beschliesst die VSM- bzw. DIN-Formate für sämtliche Formulare und erweitert die Höchstabmessung der Postkarte so, dass die im Weltpostverein zusammengeschlossenen Länder auch Postkarten von der Grösse A6 für den internationalen Verkehr herausgeben dürfen. 

Auf Antrag der Bundeskanzlei beschliesst der Bundesrat am 4. Juli 1924, die neuen VSM-Formate in der gesamten Bundesverwaltung als Einheitsformate einzuführen.[29]Gemäss diesem Beschluss haben in sämtlichen Verwaltungsabteilungen des Bundes nur noch die Formate der VSM-Reihe zur Verwendung zu gelangen, «sobald die bisherigen Papiervorräte und Formulare aufgebraucht sind». Ausgenommen bleibt dabei das Militärdepartement, mit dem eine besondere Verständigung gesucht wird. Diesem Beschluss vorausgegangen ist eine Umfrage in den einzelnen Verwaltungsabteilungen, wo sich alle Abteilungen des Militärdepartements entschieden gegen die geplante Formatreform aussprechen.[30] Auch andere Ämter sind skeptisch. So fürchtet das Oberbauinspektorat die Kosten der Einführung und das Amt für geistiges Eigentum sieht in den VSM-Formaten eine «schablonenhafte Regelung», die den verschiedenartigen Bedürfnissen nicht gerecht werden könne. Eine solche skeptische Haltung dürfte mit ein Grund sein für die zaghaften Fortschritte der Formatreform in der Bundesverwaltung. Vorangetrieben wird das Projekt ab 1925 in erster Linie vom Vize- und späteren Bundeskanzler Oskar Leimgruber. Das führende Mitglied der katholischen Konservativen Volkspartei denkt in Verwaltungsfragen ausgesprochen modern: Leimgruber positioniert sich als prominenter Fürsprecher einer umfassenden Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung, wie sie im deutschsprachigen Raum ab Mitte der 1920er Jahre unter dem Stichwort «Büroreform» verhandelt wird.[31] Teil dieses Reformprogramms ist, neben der Einführung systematischer Aktenpläne, auch die Normierung der Papierformate. Eine der ersten Amtshandlungen Leimgrubers ist die Einrichtung einer Eidgenössischen Drucksachen- und Materialzentrale, der Ende 1925 folgerichtig die Durchführung des Bundesratsbeschlusses betreffend der Vereinheitlichung der Papierformate übertragen wird.

1928 konzipiert das Normalienbüro in Zusammenarbeit mit dem Gewerbemuseum Basel eine Wanderausstellung mit dem Titel «Die Norm in Industrie, Gewerbe, Handel und Haushalt». Ziel der Ausstellung ist die Werbung für den Normungsgedanken bzw. die offenbar bestehenden «gefühlsmässige Widerstände» dagegen zu zerstreuen.[32] In dieser Ausstellung, die in der zweiten Jahreshälfte nacheinander in den Gewerbemuseen Basel, Aarau, Bern, Zürich und Winterthur gezeigt wird, nimmt die Darstellung der Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Papierformate breiten Raum ein. Das gilt auch für die im Format A5 gehaltene Wegleitung zur Ausstellung, der auch eine auf die Hälfte verkleinerte Ausgabe des VSM-Normalienblatts «Papierformate» beiliegt. Der Text der Wegleitung stammt von Hermann Zollinger. Nach einer kurzen Darstellung der Geschichte der Normung und ihrer wirtschaftlichen und weltanschaulichen Grundlagen, schildert Zollinger ihre Vorteile am Beispiel der Vereinheitlichung der Papierformate bei der Post- und Telegraphen-Verwaltung und zitiert den verantwortlichen Materialverwalter mit den Worten: «Anstelle der früheren Unordnung und des Chaos tritt eine immer deutlich erkennbare Ordnung, die schon in dieser Beziehung zugunsten der Umstellung spricht».[33] Dem sachlich begründeten Normungsgedanken steht hier ein durch «Eigenbrödelei und Starrköpfigkeit» verursachtes «Wirrwarr willkürlicher und scheinbar individueller Formen» gegenüber. An einem anderen Punkt beklagt Zollinger die «Vielheit der Formate in den Werbsachen» und nimmt einen Gedanken Bührers auf wenn er schreibt, dass eine Karteikarte mit der normalen Postkarte übereinstimmen soll, «denn vielfach werden Postkarten als Werbemittel gebraucht und karteimässig aufbewahrt».[34] Ähnliches gelte für Prospekte. Beim vorherrschenden Formatwirrwarr sei ein vernünftiges Einordnen ausgeschlossen und die meisten Prospekte und Werbekarten wanderten in den Papierkorb statt in die Registratur.

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  Abb 3: Registratur vs. Papierkorb

Trotz verstärktem öffentlichen Interesse verläuft die Umstellung auf die Normformate im Allgemeinen eher zögerlich. So sollte bei der Bundesverwaltung die Übergangszeit bei der Durchführung des Bundesratsbeschlusses betreffend der Vereinheitlichung der Papierformate schliesslich ganze 12 Jahre dauern. Ihr Ende markiert ein Kreisschreiben der Bundeskanzlei vom 12. Februar 1936, das konstatiert, dass nun der Augenblick gekommen sei, die letzten der bisher noch zugelassenen Ausnahmen bei der Anwendung des Bundesratsbeschlusses von 1924 zu beseitigen.[35] Es wird darauf hingewiesen, dass die eidgenössische Baudirektion, welche die Lieferung von Büromobiliar zu besorgen hat, seit dem ersten Januar keine Möbelstücke mehr beschaffe, die für anormale Formate bestimmt seien und dass das eidgenössische Bundesarchiv künftig Dossiers, die in Aktenumschlägen von anderem Format als dem auf die A4 abgestimmte Hüllformat C4 zurückweisen werde. Des Weiteren soll auch all jenen nicht der Verwaltung angehörigen Stellen, denen der Bund Unterstützungsleistungen gewährt, bei der schriftlichen Kommunikation die Verwendung der Normalformate zur Pflicht gemacht werden.

Anfang 1941, nach 20 Jahren Normungsarbeit, ist man in der Schweiz soweit, dass etwas mehr als die Hälfte der Rohformate, die bei den Papierfabriken bestellt werden, für Fertigpapier in Normformaten bestimmt sind und dass etwa 80% des Geschäftsverkehrs sich des Normbriefbogens bedient.[36] Den endgültigen Durchbruch verdankt die Papierformatnorm einem lenkenden staatlichen Eingriff: Als wegen des Krieges in der Schweiz Rohstoffe knapp werden, wird am 25. März 1941 das Kriegsindustrie- und Arbeitsamt (KIAA) dazu ermächtigt, Vorschriften über Erzeugung und Verarbeitung von Roh- und Hilfsstoffen sowie Halb- und Fertigfabrikate der Papier- und der papierverarbeitenden Industrie zu erlassen. Die Verfügung Nr. 2 vom 15. April 1941 betreffend Produktions- und Verbrauchslenkung in der Papierbranche hält fest, dass abgesehen von einer langen Liste von Ausnahmefällen «ganz allgemein» für Fertigpapiere nur die Normformate der A-Reihe zulässig sind. Mit dieser Bestimmung etabliert sich das VSM- bzw. DIN-Format in der Schweiz endgültig als Normalformat. Als die kriegswirtschaftliche Verfügung 1947 wieder aufgehoben wird, werden die darin enthaltenen Normenbestimmungen trotzdem beibehalten.[37]

Die Geschichte der Papierformatnormierung in der Schweiz lässt sich grob in zwei Phasen unterteilen. In der Vorkriegszeit sind es einzig eine Handvoll Idealisten und «Projektemacher» (Markus Krajewski), welche die Idee einer systematischen Vereinheitlichung der Papierformate verfolgen; hierbei ist als Pionier neben Wilhelm Ostwald auch der ansonsten weitgehend vergessene Karl W. Bührer zu erwähnen. Nach dem Krieg etabliert sich das heutige Formatsystem im Zusammenhang mit den Bestrebungen zu einer umfassenden Normierung, die der Logik von Rationalisierung von Produktion und Distribution folgt. Dabei orientiert man sich hierzulande an Deutschland, das in Fragen der Normung nach dem Ersten Weltkrieg eine Führungsrolle in Europa einnimmt. In der Schweiz ist die Maschinenindustrie der erste Träger des Normungsgedankens. Dieser wird in Folge von reformorientierten Führungspersonen im öffentlichen Dienst aufgenommen und von diesen in Teilen der Verwaltung durchgesetzt. Auf diese Weise bildet sich – trotz des ausnehmend passiven Verhaltens der Papierindustrie – langsam die für eine allgemeine Durchsetzung der Norm nötige kritische Masse.

Philipp Messner, 2011

Veröffentlicht in: sph-Kontakte, Nr. 94, 2012; eine gekürzte Version erschien auch in: Arbido, Nr. 2, 2012 (Themenheft «Normen und Standards») [E-Periodica]

 

[1] Staatsarchiv des Kantons Zürich (StAZH), Z 2.14: Statuten der Internationalen Mono-Gesellschaft in Winterthur (1906–1911).

[2] Bruno Margadant zufolge können die Monos als direkte Vorläufer des «Malerplakats» angesehen werden. Vgl. Margadant, Bruno: Das Schweizer Plakat, 1900-1983. Basel: Birkhäuser, 1983, 15–17.

[3] Internationale Mono-Gesellschaft (Hg.): Pro-Mono: Flugblätter zur Verbreitung des Mono-Systems. München: C. Andelfinger & Cie, 1906. [PDF]

[4] Bührer, Karl W.: «Das Photographische Museum der Mittelschweizerischen Geographisch-Commerciellen Gesellschaft». In: Fernschau 2 (1888): 192–203.

[5] Ders.: «Über Zettelnotizbücher und Zettelkataloge». In: Fernschau 4 (1890): 190-192. [PDF]

[6] Saager, Adolf: «Die Brücke: Historisches» (unveröffentlichtes Typoskript), 1921 [Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte].

[7] Vgl.: Sachsse, Rolf: «Das Gehirn der Welt 1912». In: Weibel, Peter (Hg.), Wilhelm Ostwald, Ostfildern: Hatje Cantz, 2004, 64–88. [PDF]

[8] Vgl. Ostwald, Wilhelm (1911): Die Weltformate I: Für Drucksachen. Ansbach: Seybold. [PDF]

[9] Ebd., 7.

[10] Ebd., 8.

[11] Bührer, Karl W., Saager, Adolf: Die Welt-Registratur: Das Melvil-Deweysche Dezimal-System. Ansbach: Seybold, 1912. [PDF]

[12] Staatsarchiv des Kantons Bern (StABE), 62474: Korrespondenz des Zentralkommitees der Schweiz. Landesausstellung 1914 mit «Die Brücke», internationales Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit.

[13] Bührer, Karl W., Behrmann, Hermann: Die Organisierung der Hotel-Drucksachen: Die Grundlagen für die Ausarbeitung von Prospekten für Gasthöfe und Fremdenheime. Ansbach: Seybold, 1912.

[14] Schweizerische Landesausstellung in Bern 1914: Reglement für die Aussteller (R. A.). Bern, 1912, 46f.

[15] Margadant, 1983, 16.

[16] Vgl.: Wölker, Thomas: Entstehung und Entwicklung des Deutschen Normenausschusses 1917 bis 1925. Berlin: Beuth, 1992.

[17] Zollinger, Hermann: «Erreichtes und Erstrebtes in der Normalisierung». In: Technik und Betrieb 10/11 (1924): 229–237, 232.

[18] Verein Schweizerischer Maschinen-Industrieller (VSM): 36. Jahresbericht des Vorstandes an die Mitglieder pro 1919. Zürich: Selbstverlag, 1920, o.S.

[19] Porstmann, Walter: «Das metrische Formatsystem». In: Mitteilungen des Normenausschusses der Deutschen Industrie 12 (1918): 200–202.

[20] VSM: 38. Jahresbericht des Vorstandes an die Mitglieder pro 1921. Zürich: Selbstverlag, 1922, 40.

[21] Ebd.

[22] Zollinger, Hermann: «Mitteilungen des VSM-Normalienbureau: Papierformate». In: Technik und Betrieb 2 (1924): 38–43.

[23] Vgl. PTT-Archiv, P-00 B 0104_01: Oberpostdirektion: Weltformate für Drucksachen (1921).

[24] Oberpostdirektion (Hg.): «Normung der Papierformate». In: Schweizerisches Post- und Telegraphen-Amtsblatt 33 (1923).

[25] Ebd., 181.

[26] Schweizer, H.: «Die neuen Papiernormalformate: Kritische Bemerkungen». In: Neue Zürcher Zeitung 983 (02.07.1924), o.S.

[27] Redaktionskommentar. In: Technik und Betrieb 9 (1924): 209.

[28] Vgl. PTT-Archiv, P-00 B 0274_01: Brief von Verband Schweizerischer Papier- & Papierstoff-Fabrikanten an VSM-Normalienbureau, 16.12.1924 (Abschrift).

[29] Schweizerisches Bundesarchiv (BAR), E1004.1* 292: Auszug aus dem Protokoll der Bundesratssitzung vom 4.7.1924.

[30] BAR, E1 521, Bundeskanzlei: Normung der Papierformate (1923–1946).

[31] Wichtige Impulse kommen dabei vom Deutschen Institut für wirtschaftliche Arbeit in der öffentlichen Verwaltung (DIWIV), das zwischen 1926 und 1933 als Tochterinstitut der Verwaltungsakademie Berlin besteht und helfen soll, bürotechnische Entwicklungen schnell für die Verwaltung nutzbar zu machen.

[32] Vgl. Gewerbemuseum Basel (Hg.): Die Norm in Industrie, Gewerbe, Handel und Haushalt: Schweizerische Wanderausstellung. [Zürich]: [s.n.], 3.

[33] Ebd., 11.

[34] Ebd., 24.

[35] BAR, E1, 521.

[36] Vgl. [Furrer, Reinhold]: «Die Normung des Papierformates». In: Union postale 6/7 (1941): 116-163 & 11/22 (1941): 234–277.

[37] BAR, E7001B 1000/1060_820*: Kriegsindustrie- und Arbeitsamt: Holz, Papier und Torf (1941–1947).